Rediscovered
Inge Sauer
At the „Kunstpunkte“ the editors of …IN RHEINKULTUR (Petra Kammann) stumbled upon special photos showing the environment of Beuys‘ activities and asked the photographer and then art academy student Inge Sauer to write down her memories.
On 7 May 1969, I cycled to the Düsseldorf Art Academy, equipped with a Rolleiflex. I was 19 years old and had just applied to the academy with a portfolio of photographs to Dieter Roth, who told me, „You can’t learn anything with me, but you can come.“ (or did he say „you“? – probably!).
So I stood in front of the Academy and photographed a scene whose background was not completely clear to me: Beuys came out, wearing a lynx coat, holding two basins in his hand. (We find these objects again in the installation „Palazzo Regale“ in the Kunstsammlung NRW*). It was the third day of the „Lidl“ Academy, which Immendorf had founded to discuss the role of art academies, art didactics and about art. Many artists and art disciples were invited, who then also arrived armed with air mattresses and blankets and occupied the academy. Only the director of the academy, Eduard Trier, had not been informed. He tried to prevent the worst, but in the end had the academy evacuated by the police. Students were not allowed to enter. That’s why I don’t know today how I managed to take the photo of the empty corridors.
The view of the young photographer, which I was or wanted to become at that time, was above all characterised by an interest in people. While the lenses of most photographers were focused on Beuys, I photographed the whole scene: these were, of course, the students of the art academy around Beuys, who, encouraged by art forms like Fluxus, discovered their joy in childlike, spontaneous creativity and staged little performances on the paving stones in front of the academy.
Completely unaffected were the Old Town residents across the street who had seen young artists and great professors come and go for generations, and perhaps occasionally shared in the fate of the artists in the „Hunger Tower“, the studio house next door. On the right side of the academy entrance, three little boys were playing, and I offered them as many precious negatives as Beuys. I was fascinated that these children sought their playground in this place, apparently delighted and liberated by the big brothers and sisters who were happily painting the paving stones.
While the children played, the Old Town residents were not bothered, the students, obviously already tired from all the discussing, read the newspaper or rested on the pavement, there was a fourth group that I remember well. They were the orderly citizens with ties, hats and parting their heads, who got excited and talked about tax money they earned and this good-for-nothing youth squandered. „Decency“, „diligence“, „do something first“, „you should be ashamed of yourselves“ were the slogans I still remember well.
The twelve pictures that fit on a roll of film paint a picture of peace, a big family: old town residents as drawn by Zille, children who look as they did in the fifties and the students who would be photographed today. And all this in just one hour on 7 May 1969.
Inge Sauer
Wiederentdeckt
Inge Sauer
Bei den „Kunstpunkten“ stieß die Redaktion von …IN RHEINKULTUR (Petra Kammann) auf besondere Fotos, die das Umfeld der Beuysschen Aktivitäten zeigt und bat die Fotografin und damalige Kunstakademie-Studentin Inge Sauer, ihre Erinnerungen niederzuschreiben.
Am 7. Mai 1969 fuhr ich mit dem Fahrrad zur Düsseldorfer Kunstakademie, ausgestattet mit einer Rolleiflex. Ich war 19 Jahre alt und hatte mich gerade mit einer Mappe mit Fotografien an der Akademie bei Dieter Roth beworben, der mir sagte: „Lernen können Sie bei mir nichts, aber Sie können kommen.“ (oder sagte er „Du“? – wahrscheinlich!).
Ich stand also vor der Akademie und fotografierte eine Szene, deren Hintergrund mir nicht vollkommen klar war: Beuys kam heraus, mit dem Luchsmantel, in der Hand zwei Becken. (Diese Gegenstände finden wir in der Installation „Palazzo Regale“ in der Kunstsammlung NRW wieder*.) Es war der dritte Tag der „Lidl“-Akademie, die Immendorf gegründet hatte, um über die Rolle der Kunsthochschulen, Kunstdidaktik und über Kunst zu diskutieren. Viele Künstler und Kunstjünger waren eingeladen, die dann auch bewaffnet mit Luftmatratzen und Decken anreisten und die Akademie besetzten. Nur der Direktor der Akademie, Eduard Trier, war nicht informiert worden. Er versuchte, Schlimmstes zu verhindern, ließ aber am Schluss die Akademie durch die Polizei räumen. Studenten hatten keinen Zutritt. Deshalb weiß ich heute nicht, wie es mir gelang, das Foto von den leeren Fluren zu machen.
Der Blick der jungen Fotografin, die ich damals war oder werden wollte, war vor allem geprägt vom Interesse an den Menschen. Während die Objektive der meisten Fotografen sich auf Beuys richteten, fotografierte ich den gesamten Ort des Geschehens: Das waren natürlich die Studenten der Kunstakademie um Beuys, die, ermutigt von Kunstformen wie Fluxus, ihre Freude an kindlich-spontaner Kreativität entdeckten und kleine Performances auf den Pflastersteinen vor der Akademie veranstalteten.
Völlig unberührt davon waren die Altstadtbewohner auf der anderen Straßenseite, die seit Generationen junge Künstler und große Professoren hatten kommen und gehen sehen, und vielleicht auch gelegentlich am Schicksal der Künstler im „Hungerturm“, dem Atelierhaus nebenan teilhaben mussten. Auf der rechten Seite des Akademieeingangs spielten drei kleine Jungen, denen ich ebenso viele kostbare Negative wie Beuys opferte. Mich faszinierte, dass diese Kinder ihren Spielplatz an diesem Ort suchten, offenbar beglückt und befreit durch die großen Brüder und Schwestern, die fröhlich die Pflastersteine bemalten.
Während die Kinder spielten, die Altstadtbewohner sich nicht stören ließen, die Studenten, vom vielen Diskutieren offenbar schon ermattet, die Zeitung lasen oder auf dem Bürgersteig ausruhten, gab es eine vierte Gruppe, an die ich mich gut erinnere. Es waren die ordentlichen Bürger mit Krawatten, Hüten und Scheitel, die sich aufregten und von Steuergeldern redeten, die sie verdienten und diese nichtsnutzige Jugend verschleuderte. „Anstand“, „Fleiß, „erstmal etwas leisten“, „Ihr solltet Euch was schämen“, waren die Parolen, an die ich mich noch gut erinnere.
Die zwölf Bilder, die auf einen Rollfilm passten, zeichnen ein Bild des Friedens, eine große Familie: Altstadtbewohner wie von Zille gezeichnet, Kinder, die aussehen wie in den Fünfziger Jahren und den Studenten, die auch heute wären sie heute fotografiert. Und das alles in nur einer Stunde am 7. Mai 1969.
Inge Sauer